Eine Mutter bittet die Krippe, ihr Kind nach dem Mittagsschlaf spätestens um 14:30 Uhr zu wecken, damit das Kind abends nicht zu lange aufbleibt und sie und ihr Mann noch etwas Erholung bekämen. Nun lehnen es einige Kitas mit Hinweis auf das in der UN-Kinderrechtskonvention verankerte Recht auf Gesundheitsvorsorge generell ab, Kinder zu wecken. Wie soll die Krippe also reagieren?
Anhand dieses und anderer Fallbeispiele aus dem Kita- und Schulalltag diskutierte Jörg Maywald beim LINES-Fachtag „Kinder haben Rechte“ am 26. November mit Erzieher/innen, Lehrkräften und pädagogisch Interessierten, was die Kinderrechte für den pädagogischen Alltag bedeuten. Das bedeutet einerseits, Kindern altersgemäß ihre Rechte bewusst zu machen und andererseits, Kinder- und Beteiligungsrechte im pädagogischen Alltag zu verwirklichen. Im Mittelpunkt des Fachtags stand die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention, die 1989 von den Vereinten Nationen beschlossen, aber erst 2010 von Deutschland uneingeschränkt ratifiziert worden ist. Pädagogische Einrichtungen, aber auch Verwaltungen sind dazu verpflichtet, bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen. Noch mehr als der Begriff „Kindeswohl“ macht übrigens der in der englischen Originalfassung verwendete Begriff „best interest“ deutlich, dass die Perspektive des Kindes im Vordergrund steht. Und diese Perspektive sollte immer unter den Aspekten schützen, fördern und beteiligen reflektiert werden und dementsprechend sollte gehandelt werden.
Dass über 100 Menschen der Einladung der Stadt und ihrer Partner VHS und ABÖE e.V. gefolgt sind, hatte neben der Aktualität des Themas sicher mit dem Referenten zu tun: Jörg Maywald ist Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind und bundesweit als Experte und Streiter für die Menschenrechte bekannt. Er ist unter anderem Mitbegründer des Berliner Kinderschutzzentrums. „Der Vortrag hat uns zahlreiche Hinweise für die Arbeit unseres Kitateams gegeben“, so Angelika Dahlke-Quade, Leiterin der Kita Ritterhuder Straße.
Der Fachtag bildete den Auftakt für die neue Projektphase von LINES. LINES V erhält vom Kultusministerium für den weiteren Ausbau des lokalen Inklusionsnetzwerkes sowie Fortbildungen und Beratung für Kitas, Schulen, Ehrenamtliche und Eltern von September 2018 bis August 2020 insgesamt 550.000 € Fördergelder im Rahmen des Programms „Inklusion durch Enkulturation“ aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. „Es ist ein außergewöhnlicher Glücksfall für Osterholz-Scharmbeck, dass das Kultusministerium unser lokales Inklusionsnetzwerk seit über 10 Jahren fördert“, so die Erste Stadträtin, Bettina Preißner. Regina Traub, Programmverantwortliche bei der NBank Niedersachsen, begründete dies mit der Vielfalt der Beteiligten und der Qualität der Angebote in Osterholz-Scharmbeck.
Einen Überblick über die Arbeitsbereiche von LINES V gab Dieter Heinrich, Geschäftsführer von ABÖE e.V. Ein wichtiger Schwerpunkt in den kommenden beiden Jahren liegt neben der Weiterentwicklung von inklusiven Kitas auf der Unterstützung der Quartiersarbeit in der Drosselstraße.
Und was antwortet die Krippe jetzt der Mutter, die um ein rechtzeitiges Wecken ihres Kindes gebeten hat? Jörg Maywald rät in solchen Fällen dazu, ganz genau hinzusehen. Befindet sich das Kind noch im Tiefschlaf, rät er vom Wecken ab. Ansonsten könnte die Krippe dem Wunsch der Mutter aber durchaus folgen. Es könne nicht im „best interest“ des Kindes seien, wenn seine Eltern wegen des langen abendlichen Wachbleibens vollkommen erschöpft seien.